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Simone Jacob

Bulimie - Wenn die Seele nicht satt wird




Ich wünschte, ich wäre als junges Mädchen so im Einklang mit meinem Körper gewesen, wie ich es heute als 61-jährige Frau bin. Damals mit 16 entwickelte ich eine Ess-Störung, die schließlich zur Bulimie wurde. Ein Wort wie ein Fallbeil. Auch Heute noch. Bulimie ist so sehr mit Scham besetzt, dass die Betroffenen mit niemandem darüber sprechen und mit ausgeklügelten Methoden ihr Tun jahrelang verbergen. Typisch für diese Krankheit ist, dass man wenig Selbstwert und eine verschobene Selbst-Wahrnehmung hat.

Wenn ich Fotos von damals anschaue, sehe ich einen fröhlichen 16-jährigen Teenager mit einer nahezu perfekten Figur. Von außen konnte niemand meinen inneren Kampf sehen.



Unter der Ess-Brech-Sucht, die häufig zwischen Ess-Attacken und magersüchtigen Phasen wechselt, litten u.a. Prominente wie Lady Diana, Lady Gaga, Geri Halliwell, Jessica Alba, Lenny Kravitz und Jane Fonda. Von 1.000 Mädchen und Frauen erkranken im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 28 an einer Binge Eating-Störung, 19 an Bulimie, 14 an Magersucht. Viele Ess-Störungen treten in einer Mischform auf. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Die meisten Störungen bleiben unerkannt. Die Betroffenen tun alles um ihre Krankheit zu vertuschen. Denn sie ist peinlich und eklig. Und genau deshalb möchte ich hier meine Geschichte erzählen. Denn Schweigen hilft nicht. Darüber reden, austauschen, gemeinsam nach Lösungen suchen, hilft.

Als Kind war ich ein Spargel. Als ich mit 14  die ersten weiblichen Rundungen bekam, war ich überfordert. Ich kannte meinen Körper nicht mehr, fühlte mich fremd in ihm. Er wurde immer mehr zu einer Hülle, die ich wieder dünn zurren und optimieren musste um geliebt zu werden. Da ich auf das Essen nicht ganz oder nur tageweise verzichten konnte, dachte ich, dass Erbrechen die Lösung sei. So habe ich meinen Körper jahrelang gequält und kontrolliert um einem verrückten Schönheitsideal zu entsprechen. Ich dachte ich wäre nur liebenswert wenn ich perfekt bin.


Hinzu kam die Trennung meiner Eltern als ich 15 war. Meine Mutter erlitt einen Zusammenbruch und ich rutschte in die Rolle der Zuhörerin und Versorgerin meiner Mutter. Ich war mit meiner eigenen Trauer allein, denn ich musste ja für meine Mutter funktionieren und dabei war meine Seele am verhungern. Mit Fressattacken versuchte ich mein Leid zu lindern. Doch das half natürlich nur kurzfristig. Aus Scham über meinen Kontrollverlust, erbrach ich mich dann. 


Ich schwankte zwischen maßlosem Essen, Erbrechen und tagelangem Hungern.

Das Wort Bulimie verbannte ich aus meinem Kopf.  Zu entsetzlich waren es. Nach dem Erbrechen verrannte ich mich in der Illusion, dass nun alles gut werde. Bis mich meine Realität wieder einholte. Ein ständiges Auf- und Ab der Gefühle.


Zehn Jahre lang malträtierte ich meinen Körper und meine Seele mit dem Wechsel zwischen eiserner Disziplin, Bestrafung und Entgleisung. Ich zählte und kontrollierte jede Kalorie. Manchmal ass ich nur einen Apfel am Tag, aber selbst diesen empfand ich als zu viel. Hinzu kam manisch-intensiver Sport. Fünfmal die Woche, zwei bis drei Stunden Work-out. In dieser Zeit studierte und modelte ich nebenbei. Ich war schlank und durchtrainiert. Ich glaube kaum, dass jemand auf die Idee kam, dass unter dieser vermeintlich perfekten Schale eine einsame Seele lebte.


Es dauerte Jahre - auch dank etlicher Selbsthilfeseminare - bis ich die Ursachen meiner Bulimie verstand und sie überwinden konnte. Doch erst mit 27, mit meiner ersten Schwangerschaft, gelang es mir einen Schlussstrich zu ziehen. Mit meinem wachsenden Bauch begann ich zu heilen.

Jetzt stand das  heranwachsende Leben im Fokus. In den folgenden neun Monaten schloss ich Frieden mit der dicken Frau in mir, vor der ich solche Angst hatte. Ich erkannte, dass es wichtigere Dinge im Leben gab als zu gefallen. Mir wurde klar: Ich bin bereits liebenswert so wie ich bin und ich muss nichts dafür tun - schon gar keinem Schönheitsideal entsprechen.


Ich gab mir die Erlaubnis ab sofort alles essen zu dürfen worauf ich Lust hatte. Dieses Gefühl hatte ich vollkommen verloren. In meinem Kopf gab es ja nur gute und böse Nahrungsmittel. Die Guten waren natürlich die, deren Kaloriengehalt gegen Null ging.

Es war ein Fest!  Ich aß und genoß alles was ich mir jahrelang verboten hatte und akzeptierte, dass ich in der Folge zunehmen würde. Tatsächlich legte ich auch ein paar Kilo zu, aber dann geschah das Wunder! Ich nahm ab. Meine Gier schwand und ich empfand wieder Hunger und Sättigung.


Endlich konnte ich all’ die inneren Qualen und Selbstzweifel loslassen und mich mit meiner kleinen Tochter in die Fülle des Lebens stürzen. Meine Schwangerschaften und die Erfahrung, Leben in die Welt zu bringen erdeten mich. Wie ein Baum schlug ich meine Wurzeln in den Boden.




Um meine Bulimie zu bewältigen, musste ich lernen mich zu lieben und verstehen, dass, ein Körper nicht nur ein Körper ist, sondern mit Akzeptanz, Großzügigkeit, Liebe und Dankbarkeit gefüllt werden will. Erst dann ist er wirklich schön, egal in welcher Form oder Gestalt er daher kommt. Erst dann wird die Seele satt.

Lasst uns versuchen, diese Botschaft an unsere Töchter weiterzugeben...

Was ist deine Geschichte?




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Was sind die Ursachen für Bulimie?

Bulimie ist eine ernsthafte Essstörung, Die Ursachen für Bulimie sind komplex und können von Person zu Person variieren.
Neben psychologischen Faktoren wie geringes Selbstwertgefühl, Perfektionismus, Depressionen und den Schwierigkeiten im Umgang mit Emotionen und Stress verstärkt auch Social Media den gesellschaftlichen Druck.
Heute nimmt man auch an, dass biologische Faktoren eine Rolle spielen, wie eine genetische Veranlagung oder neurochemische Ungleichgewichte im Gehirn, insbesondere in Bezug auf Serotonin, einem Neurotransmitter, der mit Stimmung und Appetit in Verbindung steht.

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Anlaufstellen für Ess-Störungen:

Bundesverband Essstörungungen e.v.

Andreas Schnebel

T: 0152 - 58 85 07 64


Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

T: 0211- 89 20 31


ANAD

089 - 21 99 73-0

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